Mitorganisator über Roma Resistance Day: „Wir kämpfen für unsere Rechte“ (2024)

Am 16. Mai findet der Roma Resistance Day statt, nur leider nicht im Berliner Roten Rathaus. Kenan Emini weiß auch sonst wenig Gutes zu berichten.

Kenan Emini 2016 beim Gespräch mit einer Roma-Familie, die für ihr Bleiberecht protestiert Foto: Allegra Schneider

taz: Herr Emini, nur einmal fand 1981 ein Weltkongress der Roma in Deutschland statt. Nun haben Sie in Berlin den World Roma Congress mitorganisiert. Aber im Roten Rathaus ist kein Platz für Sie?

Kenan Emini: Nach einer Zusage und einem halben Jahr Planung hat uns die Berliner Senatskanzlei am 8. Mai den Raum abgesagt. Wir mussten eine Woche vor der geplanten Veranstaltung einen neuen Ort finden. Das hat zum Glück noch geklappt.

arbeitet beim Roma Center Göttingen und beim Roma Antidiscrimination Network. Er hat den World Roma Congress in Berlin mitorganisiert.

Mit welcher Begründung kam die kurzfristige Ausladung?

Uns wurde mitgeteilt, Veranstaltungen der „Hausleitung“ hätten Priorität.

Die neue CDU-geführte Berliner Landesregierung hatte also kurzfristig andere Pläne?

So viel zum Umgang der Institutionen mit Roma. Im Rahmen des Weltkongresses wollten wir am 16. Mai im Roten Rathaus eigentlich den Roma Resistance Day begehen.

Der Gedenktag ist nicht allen bekannt.

Am 16. Mai 1944 haben Tausende Roma in Auschwitz-Birkenau Widerstand geleistet und sich gegen ihre Ermordung durch die SS gewehrt. Sie konnten die Vernichtung nur verzögern. Am 2. August 1944 wurden die verbliebenen 4.300 Roma in dem Lager in einer Nacht vergast. Der 2. August ist daher der Holocaust-Gedenktag für die ermordeten Roma und Sinti. Der Impuls, auch an den Widerstand der Roma am 16. Mai zu erinnern, kam vor einigen Jahren in Frankreich auf. Für uns steht der Tag auch für den aktuellen Widerstand, da Roma bis heute für ihre Rechte kämpfen müssen.

Der World Roma Congress findet vom 15. bis 17. Mai 2023 in Berlin statt.

Über 30 Rednerinnen und Redner kommen aus aller Welt, von den USA bis Indien, von Schweden bis zur Türkei, aus West- und Osteuropa.

Diskutiert werden soll über Roma-Selbstorganisation weltweit, über Diskriminierung in Zeiten des Ukrainekriegs, über die Gefahr des Rechtspopulismus, die Situation der Roma in Deutschland und Visionen für Europa.

Mehr Infos unter worldromacongress.org/

Was ist der Anlass für den neuen World Roma Congress?

Die Lage der Roma in den meisten Gesellschaften überall auf der Welt ist schlecht. Diskriminierung, Rassismus und Marginalisierung sind alltäglich. Vor einem Jahr waren wir mit einer internationalen Delegation im EU-Parlament. Dort haben wir beschlossen, selbst einen Kongress zu organisieren.

Warum waren Sie in Brüssel?

Wegen der Vertreibung eines Großteils der ehemals 150.000 Roma aus dem Kosovo nach dem Krieg 1999. Das war nach dem Zweiten Weltkrieg die größte Katastrophe für Roma in Europa. Sie haben seit Jahrhunderten dort gelebt. Wir wollten eine Verbesserung der aktuellen Situation erreichen, unter anderem in Bezug auf die Häuser der Roma, die nach den Vertreibungen von Kosovoalbanern besetzt wurden. Dieses Problem ist nach mittlerweile 24 Jahren immer noch nicht geklärt.

Der erste Welt-Roma-Kongress fand 1971 in England statt. Da wurde eine Romaflagge und das Lied „Gelem, Gelem“ als Hymne festgelegt. Seitdem gab es zehn weitere Kongresse. Stehen Sie in dieser Tradition?

Ja und nein.

Wie meinen Sie das?

Grattan Puxon, Mitinitiator und Generalsekretär des ersten Welt-Roma-Kongresses in England, ist nach wie vor dabei.

Aber?

Mit dem Kongress möchten wir eine neue Richtung einschlagen und eine Plattform schaffen, auf der die realen Probleme gelöst werden können. Die Roma wurden in der Gesellschaft nie als gleichwertig akzeptiert, sondern blieben Bürger zweiter Klasse. Bis heute wird das Problem der strukturellen und institutionellen Diskriminierung nicht systematisch angegangen. Eine umfassende Reform der Romapolitik ist notwendig.

Wurden auf den vergangenen Weltkongressen nicht die Grundsteine gelegt, an die Sie heute anknüpfen? Die Anerkennung des NS-Völkermords an den Sinti und Roma kam erst 1982. Damals empfing Bundeskanzler Helmut Schmidt eine Delegation des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma um deren Vorsitzenden Romani Rose …

Es wurde viel erreicht und es war ein harter Weg bis zu dieser Anerkennung. Die Vorarbeit wurde auch 1981 auf dem dritten Welt-Roma-Kongress in Göttingen geleistet. Damals kamen über 600 Delegierte aus 28 Ländern. Das hat Eindruck gemacht. Aber es wurde auch gestritten und es gab Kritik.

Inwiefern?

Die Anerkennung des Völkermords, die 1982 folgte, bezog sich nur auf Deutschland und auf Sinti und deutsche Roma. Dabei reden wir über ein Verbrechen in ganz Europa. Viele der Überlebenden aus Osteuropa waren Teil des Kongresses von 1971 und folgende. Dass Sinti und Roma in Deutschland während der Zeit des Nationalsozialismus umgebracht wurden, ist mittlerweile einigermaßen bekannt. Aber nicht darüber hinaus. Das ist in vielerlei Hinsicht problematisch. Zum Beispiel wenn wir über aktuelle Fragen in der Migrations- und Flüchtlingspolitik sprechen. Wenn es also um Familien aus Serbien, Kosovo oder aus Nordmazedonien geht, die kein Bleiberecht erhalten und abgeschoben werden sollen.

Sie meinen, es spielt keine Rolle, dass es sich um NS-Überlebende und deren Nachfahren handelt?

Es spielt in Deutschland gar keine Rolle und das ist skandalös. Das wäre vielleicht anders, wenn die Anerkennung des Genozids 1982 auch für die Roma aus den ehemals besetzten Gebieten Ost- und Südosteuropas erfolgt wäre. Wir sehen das zum Beispiel nun wieder bei Geflüchteten aus der Ukraine. Für jüdische Geflüchtete aus der Ukraine gibt es ein vereinfachtes Zuwanderungsverfahren. Das ist richtig so! Für Roma aus der Ukraine gilt das aber nicht, im Gegenteil.

Roma aus der Ukraine wurden teilweise an der Grenze abgewiesen und nicht wie alle anderen Flüchtlinge behandelt.

Wir sprechen von Rassismus bei der Flucht, in den Transit- und Aufnahmeländern, aber auch von Diskriminierung zuvor in der Ukraine. 2016, 2017, 2018 gab es zum Beispiel dort Pogrome gegen Roma. Letztes Jahr berichteten mir Flüchtende, mit denen ich in Polen gesprochen habe, dass sie vor russischen Bomben fliehen und vor Schlägen der Ukrainer.

In ganz Europa gehören Roma oft zu der ärmsten Gruppe innerhalb der Bevölkerung. Inwiefern spielt das bei der Diskriminierung eine Rolle?

Die Umstrukturierungen in Ost- und Südosteuropa nach dem Ende des Kalten Krieges und dem darauf folgenden Wachstum des Nationalismus und reaktionärer Ideologien haben zu gravierender Marginalisierung und Verarmung von Roma geführt. Roma hatten normale Jobs und waren dann die Ersten, die ihre Arbeit verloren. Der Rassismus trieb die Leute in die Armut. Und die Armut verstärkt den Rassismus. Heute haben viele Roma kaum eine Zukunftsperspektive. Auch wenn sie akademische Abschlüsse haben, finden sie keine Arbeit.

Wie lässt sich dieser Kreislauf durchbrechen?

Der größte Faktor ist die Mehrheitsgesellschaft. Sie ist nicht richtig sensibilisiert und hat kein Bewusstsein für Diskriminierung, obwohl Roma seit Jahrhunderten in Europa leben. Medien reproduzieren Stereotype und Angst einflößende Bilder von Roma. Dieses Problem müssen wir lösen.

Wie kann das gelingen?

Beispielsweise auch über mehr Sichtbarkeit von Roma in popkulturellen Medien. Ich gebe ein Beispiel: In den Marvel- und DC-Comics gibt es viele Roma­charak­tere, deren Herkunft in den Verfilmungen nicht erwähnt oder verfälscht wird: zum Beispiel „Dr. Doom“, „Scarlet Witch“ oder „Dick Grayson“, also „Robin“ bei Batman. Diese Charaktere sollten ihre Romaherkunft bei den Verfilmungen behalten, auch durch eine entsprechende Auswahl der Darsteller. Wegen „Dr. Doom“ sind wir mit Marvel im Gespräch. Das ist einer der Wege, mit der Mehrheitsgesellschaft zu kommunizieren. Über den anderen Weg, den politischen, sprechen wir auf dem Kongress in Berlin.

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